EZB am Ende der „Zinsreise“

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) erhöhte zum zehnten Mal nacheinander alle drei Leitzinsen und dürfte damit die im Juli vergangenen Jahres begonnene „Zinsreise“ beendet haben. Der Einlagesatz für Banken stieg auf 4,00%, der Hauptrefinanzierungssatz auf 4,50% und der Ausleihsatz auf 4,75%.

Hinweis: Die obige Grafik enthält noch nicht die heutigen Zinsanhebungen.
Zinsen bleiben lange oben
Die Leitzinsen haben nach Einschätzung der EZB ein Niveau erreicht, „das – wenn es lange genug aufrecht erhalten wird – einen erheblichen Beitrag zu einer zeitnahen Rückkehr der Inflation auf den Zielwert leisten wird“. Im Klartext: Die Zinsen dürften längere Zeit auf dem aktuellen Niveau verharren. Zinssenkungshoffnungen sind nicht angebracht.
Entscheidungsparameter
Die geldpolitischen Entscheidungen der EZB hängen weiterhin von den Inflationserwartungen, den immer stärker in der Realwirtschaft ankommenden negativen Auswirkungen der bisherigen Zinsanhebungen sowie vom grundlegenden Trend der inflationären Entwicklung (underlying inflation) ab.
Inflationsraten werden sinken
Aufgrund ausgeprägter Basisseffekte werden die Euro-Inflationsraten im September und Oktober deutlich zurückkommen. Im September 2022 schnellte der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) der Euro-Zone im Monatsvergleich um 1,2% nach oben. Da die Inflationsmessung ein Jahresvergleich ist, fällt dieser Anstieg im September 2023 aus der Berechnung heraus. Der HVPI dürfte im September 2023 deutlich weniger steigen als im September 2022. Damit wird sich der Jahresabstand des HVPI – die Inflationsrate – spürbar verringern. Sie dürfte bei rund 4,5% liegen.

Im Oktober kommt ein weiterer statistische Basiseffekt zum Tragen. Er ist mit einem monatlichen HVPI-Anstieg von 1,5% im Oktober 2022 sogar noch etwas stärker als im September und sollte dazu führen, dass die Euro-Inflationsrate im Oktober bei rund 3,5% liegen wird.
EZB-Projektionen: Etwas mehr Inflation und deutlich weniger Wachstum
Die Projektionen der EZB wurden turnusgemäß den aktuellen Rahmendaten angepasst. Die Headline-Inflationsrate soll 2023 nunmehr bei 5,6% liegen (bisher 5,4%), die Kernrate wie bisher bei 5,1%.
Die aktuellen EZB-Projektionen sehen die Headline-Rate in 2024 bei 3,2% (bisher 3,0%) und 2025 bei 2,1% (bisher 2,2%). Die Kernrate soll auf 2,9% in 2024 (bisher 3,0%) und 2,2% in 2025 (bisher 2,3%) zurückgehen.
Das Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone soll gemäß der aktuellen Projektion in diesem Jahr um 0,7% (bisher 0,9%), in 2024 um 1,0% (bisher 1,5%) und 2025 um 1,5% (bisher 1,6%) steigen.
Bilanzsumme sinkt
Durch die Rückzahlung umfangreicher Refinanzierungsgeschäfte und die stetige Verringerung der Bestände des APP-Anleihekaufprogramms hat die Bilanzsumme bereits deutlich abgenommen. Über einen möglichen zusätzlichen Verkauf von Anleihebeständen wurde nicht diskutiert.

Die Tilgungsbeträge aus dem Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP sollen noch mindestens bis Ende 2024 komplett und flexibel reinvestiert werden.
Zinsplateau statt Zinsgipfel
Die Ausführungen der EZB-Präsidentin und die Formulierungen der geldpolitischen Beschlüsse geben keinen Anlass zu Zinssenkungshoffnungen. Die EZB befindet sich anscheinend auf einem langgestreckten Zinsplateau und nicht auf einem Zinsgipfel.
Fazit: Mit dem heutigen zehnten Zinsschritt sollte die EZB ihre „Zinsreise“ beendet haben, zumal die Inflationsraten in Kürze voraussichtlich deutlich zurückkommen und die bisherigen Zinsanhebungen die Nachfrage zunehmend dämpfen. Die Zinsen dürften lange hoch bleiben.